Republik Kurdistan

Die Republik Kurdistan

Am 25. August 1941 marschierten sowjetische und britische Okkupationsarmeen in den Iran ein. Die Russen besetzten den nördlichen und die Briten den südlichen Teil. Infolgedessen entstand in (iranisch)Kurdistan ein Machtvakuum und zur gleichen Zeit günstige Voraussetzungen für die Verwirklichung nationaler Bestrebungen. Und so war es auch: Unmittelbar nach dem Abzug der Perser im Jahre 1941 hatte sich eine kurdische Verwaltung etabliert. Von der persischen Obrigkeit blieb kaum etwas. Da die Überwachung der iranisch-irakischen Grenze vor diesem Hintergrund zusammenbrach, befanden sich nun viele Grenzstationen unter kurdischer Kontrolle, sodass der Grenzübergang in die benachbarten kurdischen Regionen problemlos überquert werden konnte.



Im Herbst des Jahres 1942 etablierte sich in Mahabad, dem künftigen Hauptsitz der Republik Kurdistan, eine Geheimorganisation namens „Komeley Jianewey Kurd“, die von etwa 15 Kurden mit dem Ziel der kurdischen Souveränität gegründet wurde. Später wurde auch der Jurist, Notar und Geistliche Qazi Mohammed mit dem Geheimnamen „Binayi“ (zu deutsch: Augenlicht) zum Mitglied. Fortan bauten die Kurden unter russischer Schutzmacht eine Autonomie auf und machten sich in Verwaltung und Politik unabhängig. Parallel zu den Entwicklungen in Kurdistan entstand am 12. Dezember 1945, ebenfalls durch sowjetischen Rückhalt, in der nordöstlichen Provinz unter der Führung des Altkommunisten Pishevari die Autonome Republik Aserbaidschan. Der Forderung der Sowjets, man solle sich dieser Republik als Teilautonomie unterordnen, ging Qazi Mohammed nicht nach, mit der Begründung, man wolle seinen Besatzer nicht wechseln, sondern sich unabhängig machen.

Die ehemalige Organisation „Komeley Jianewey Kurd“ wurde am 16. Juli 1945 umbenannt zu KDP (Demokratische Partei Kurdistan) und Peshewa Qazi Mohammed, der einen großen Einfluss hatte und sich durch seine umfassende Bildung und Vertrauenswürdigkeit hervorhob, wurde zum Präsidenten gewählt. Das Programm der Demokratischen Partei setzte sich aus sieben Punkten zusammen, die unter anderem die Forderung nach Selbstverwaltung in allen regionalen Angelegenheiten, die kurdische Sprache als Amtssprache und Bildungssprache, sowie die Brüderschaft mit allen nationalen Minderheiten beinhalteten.



Am 22. Januar 1946 rief Präsident Qazi Mohammed die Republik Kurdistan auf dem Çiwar Çira (Vier- Lampen) Platz aus. Qazi Mohammed verkündete an jenem Tag, dass die Kurden ein eigenes Volk mit eigener Geschichte, Sprache und Kultur sind, das in seinem eigenen Land lebt und nun auch über einen eigenen Staat verfügen wird und richtete mit kräftiger Stimme folgende Schwur an das kurdische Volk:

"Ich schwöre im Namen Gottes, beim Worte des Großen Gottes, im Namen der Heimat, im Namen der Ehre des kurdischen Volkes, im Namen der heiligen Flagge Kurdistans, dass ich bis zum letzen Atemzug meines Lebens und bis zum letzten Tropfen meines Blutes mit Leben und Besitz nach der Unabhängigkeit und Heraufsetzung der kurdischen Flagge streben werde, damit es der Gemeinschaft der Republik Kurdistan und der Einheit des kurdischen und aserbaidschanischen Volkes diene, dabei friedfertig und treu verbleiben werde."


Die Nationalhymne der kurdischen Republik wurde „Ey Reqib“ (zu Deutsch: "Oh Feind"), geschrieben von dem kurdischen Dichter Wenis Rauf Dildar. Das Staatsgebiet war schätzungsweise so groß wie die heutige Schweiz und umfasste nennenswerte Städte wie Bokan, Saqqez, Nexede, Shino, Serdesht, sowie das Gebiet westlich des Urmia Sees bis hinauf in den Norden nach Mako. 

Nach den ersten russischen Hilfssendungen konnte der erste kurdische Rundfunk installiert werden. „Radio Kurdistan“ sendete täglich mehrere Stunden. Zeitgleich wurden auf sozialer und gesellschaftlicher Ebene progressive Veränderungen vorgenommen. So wurden mit Verweis Qazi Mohammeds auf Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau die ersten Mädchenschulen gegründet und die Schulpflicht eingeführt. Die reichen und wohlhabenden Familien mussten die Kosten für die Schulausbildung der Waisenkinder und der Kinder aus sehr ärmlichen Verhältnissen, die den Familien als Pflegekinder zugeteilt wurden, übernehmen. Um älteren Menschen und Analphabeten das Lesen und Schreiben zu vermitteln, wurden auch Abendschulen eingeführt. In Verbindung zum neuen Schulsystem wurden Druckereien eröffnet und Theater gegründet. Da die Amtssprache nicht mehr länger Persisch, sondern Kurdisch war, wurden auch die ersten Schulbücher in kurdischer Sprache für den Unterricht geschrieben. Abiturienten wurde die Möglichkeit geboten, in der Sowjetunion ihr Studium zu absolvieren. Zugleich wurde die womöglich erste kurdische Frauenorganisation gegründet.

Die Kriminalität nahm ab der kurdischen Selbstverwaltung ab und machte Platz für Harmonie und Sicherheit. Es gab in der Republik nicht einen einzigen politischen Gefangenen. Der Grund ist, dass die kurdische Bevölkerung sich zum ersten Mal in ihrer Geschichte frei fühlte. Die ethnischen und religiösen Minderheiten erhielten ohne jede Einschränkung volle Freiheit. Die Juden genossen zum Ersten mal in ihrer Geschichte im Iran einen Autonomiestatus und waren in verschiedenen Gremien der Regierung der kurdischen Republik vertreten. Sie gründeten eigene Schulen und konnten ihre eigene Sprache unterrichten. Innerhalb von wenigen Monaten erblühte die kurdische Republik und wurde zu einer Wiege demokratischer Werte. Für die Bevölkerung entfaltete sich ein wirtschaftlich und politisch freies Leben. Die Regierung finanzierte sich aus Steuern und die Regierungspartei aus Mitgliederbeiträgen sowie aus Spenden reicher Familien und Stammeshäuptlinge. Der Iran verhängte jedoch ein Embargo gegen die kurdische und auch gegen die aserbaidschanische Republik, sodass keine Waren mehr außerhalb der Region verkauft werden konnten. Zu diesen Waren gehörten wichtige landwirtschaftliche Produkte wie Tabak und Weizen. Infolgedessen zahlte Peshewa Qazi Mohammed, der einem reichen Adelshaus entstammte, mit eigenen finanziellen Mitteln den Lohn der Peschmerga aus.



Noch im Februar 1946 erhielten die Kurden die von den Russen zugesagten Hilfssendungen, darunter 5.000 Waffen aus Beständen der Sowjetarmee - Gewehre, Maschinengewehre sowie Armeepistolen. Die Militärhilfe fiel sehr bescheiden aus. Um sich unter anderem auf die Verteidigung der Staatsgrenzen gegen zu erwartende militärische Angriffe der Perser vorzubereiten und in dem selben Maße gegen kriegerische, feindliche kurdische Stämme, wurde in Kürze ein Kabinett gegründet. Mit Hilfe von herbeieilenden Fürsten und Stammesführern aus den benachbarten kurdischen Regionen, darunter auch Mollah Mustafa Barzani mit 3.000 Waffenträgern und der Stamm der Shikaks mit 1.300 Mann Kavallerie, konnte eine Streitmacht gebildet werden. Seyfi Qazi wurde zum Kriegs- und Verteidigungsminister gewählt. Wenige Monate zuvor, am 17. Dezember 1945, entschied sich der Ministerrat der jungen Republik, die Soldaten der kurdischen Armee „Peschmerga" zu nennen (zu deutsch: „die dem Tod gegenüber stehenden“). An jenem Tag wurde die kurdische Flagge erstmals auf dem Gerichtsgebäude am Çiwar Çira (Vier-Lampen) Platz gehisst. Die Republik Kurdistan wurde immer mehr zum Mittelpunkt des kurdischen Erwachens und zog Kurden aus allen Teilen Kurdistans an.



Nachdem die iranische UNO Vertretung am 19. Januar 1946 eine Beschwerde gegen "die Einmischung der Sowjetunion in die inneren Angelegenheiten des Iran“ einreichte und der Westen diesen Antrag unterstützte, geriet Moskau unter Druck und befürchtete eine weltweite Isolierung. Die Sowjetunion entschied sich dazu, die kurdische und aserbaidschanische Selbstständigkeit aufzugeben und wechselte den Kurs. Nach einem Arrangement mit Teheran und abgeschlossenen Verhandlungen um die Bildung einer Iranisch-Sowjetischen Ölgesellschaft, verließen die sowjetischen Truppen Ende März 1946 den Iran innerhalb weniger Wochen. Der Weg zu den begehrten Ölkonzessionen war bis Mitte 1945 blockiert gewesen. Moskau verhandelte über Erdöl-Konzessionen mit Teheran bereits seit Herbst 1944. Teheran vertagte jedoch die Diskussionen darüber bis Kriegsende, sodass sich die Sowjets bis dahin dem Experiment der kurdischen und aserbaidschanischen Republik zuwandten. Zur gleichen Zeit räumten auch die Briten ihre letzte Garnison. Für die Kurden stand fest, dass die Sowjets die aserbaidschanische und kurdische Selbstständigkeit aufgegeben hatten. 


Im März 1946 drang die persische Armee bis an den Südrand der Republik Kurdistan vor und unterhielt an den südlichen Grenzen der Städte Saqqez und Bane Stützpunkte. Diese Städte wurden zu Beginn des Machtvakuums von verschiedenen kurdischen Stammeskriegern, die sich später der Armee der Republik anschlossen, zurückerobert. Ziel der kurdischen Armee war es, die noch unter iranischer und unter britischer Herrschaft verbliebenen südlichen kurdischen Provinzen Sine, Kirmashan und Ilam zu befreien und an die Republik anzuschließen. Als Ende April 1946 zwei Bataillone der persischen Armee in das Territorium der Republik eindrangen, erlitten sie nach einem Angriff der Peschmerga Kräfte schwere Verluste und mussten sich fluchtartig zurückziehen. Zum Schutz der Republik wurden 13.000 Waffenträger an den Grenzen stationiert.


Ende November 1946 befahl der iranische Ministerpräsident, Aserbaidschan und Kurdistan zu besetzen und jeglichen militärischen Widerstand zu brechen. Peshewa Qazi Mohammed war nach dem Abzug der Sowjets mehrfach nach Teheran für Verhandlungen über einen Autonomiestatus gereist. Nach mehreren diplomatischen Gesprächen willigte Teheran in eine begrenzte Autonomie für die Kurden ein. Teherans Bedingung für das Inkrafttreten der Autonomie war die Beendigung des militärischen Widerstandes der kurdischen Armee und die Durchführung der iranischen Parlamentswahlen in Kurdistan.

Als die Truppen des iranischen Generalmajors Homayuni gegen die Grenzen der beiden jungen Republiken vorrückten, gerieten die Kurden in Zweifel. Nachdem eine kurdische Delegation in den ersten Dezembertagen beim sowjetischen Konsul Hashimov um klare Auskünfte über die Haltung Moskaus bat und dieser die Kurden in dem Glauben ließ, dass Teheran lediglich kleinere Truppenkontingente entsenden und die Republik danach wieder verlassen würde, entschied sich der kurdische Kriegsrat, den vorrückenden persischen Truppen keinen Widerstand zu leisten.

Am 13. Dezember 1946 marschierten persische Truppen in die Republik Aserbaidschan ein. Es kam zu einem großen Gemetzel, zahlreiche Zivilisten und kommunistische Funktionäre wurden umgebracht. Der Präsident Pishevari und die wichtigsten Regierungsmitglieder konnten sich zuvor mit ihren Reichtümern in den Schutz der Sowjettruppen nach Baku retten.

Für die Kurden war nach der brutalen Niederschlagung der benachbarten aserbaidschanischen Republik, mit der die Auflösung einer starken und schützenden Front an ihren östlichen Grenzen einherging, klar, dass nun auch ihre Republik an der Reihe war. Peshewa Qazi Mohammed stellte bei einer Versammlung auf dem Platz der Abbas Agha Moschee in Mahabad die Bevölkerung vor die vollendeten Tatsachen. Da den Kurden zuvor signalisiert wurde, dass sie keine militärische, politische und humanitäre Hilfe von Außen erwarten könnten, entschied sich die Mehrheit der Bevölkerung, keinen Widerstand zu leisten. Qazi Mohammed erklärte sich bei Generalmajor Homayuni unter folgenden Bedingungen dazu bereit, sich zu ergeben, um die kurdische Bevölkerung vor einem großen Unglück zu bewahren: 1) Bevor der Stamm der Barzanis die Region nicht verlassen hat, bleibt der Zugang nach Mahabad versperrt. 2) Es darf kein Massaker in der Region begangen werden. 3) Die mit der iranischen Regierung alliierten feindlichen kurdischen Stämme dürfen Mahabad nicht besetzen. 

Kurz bevor die Perser vor Mahabad standen, brachen sie ihre Vereinbarung mit Peshewa Qazi Mohammed und planten, den feindlichen Stämmen Einlass zu gewähren, damit diese Raubzüge begehen und die Bevölkerung niedermetzeln. Qazi Mohammed erfuhr von dem Komplott und begab sich erneut zu Homayuni. Dort drohte er Homayuni mit Widerstand, sollten sie sich nicht an die Vereinbarung halten und betonte, dass er die volle Verantwortung übernimmt und der Bevölkerung nichts geschehen dürfe.

Am 16. Dezember 1946 besetzten die Perser Mahabad. Dabei stoßen sie auf keinen Widerstand. Qazi Mohammed entschied sich gegen die dringende Aufforderung vieler, in die Sowjetunion oder in den Irak zu fliehen, sondern bei seinem Volk zu bleiben, das er zu schützen geschworen hatte. Auf dem Çiwar Çira (Vier-Lampen) Platz verkündeten die Perser das Ende der Republik. Auf Drängen von Qazi Mohammed verließ Mollah Mustafa Barzani mit seinen Peschmerga Kämpfern vor dem Einmarsch der Perser die Republik und floh in die Sowjetunion. 


Am 10. Januar 1947 wurden Peshewa Qazi Mohammed und 28 weitere Funktionäre der Republik inhaftiert. Nach seiner Festnahme forderte Peshewa Qazi Mohammed mehrfach die Perser dazu auf, seine Mitarbeiter und Verwandten freizulassen und betonte, dass sie nichts anderes als seine Befehle ausgeführt hätten. Der Präsident Qazi Mohammed, sein Bruder Sedri Qazi und sein Cousin Seifi Qazi, Kriegs- und Verteidigungsminister, wurden wegen Aufruhr und Hochverrat von dem iranischen Strafgerichtshof zum Tode verurteilt. Qazi Mohammed wurde unter anderem auch für Taten angeklagt, welche er nicht begangen hatte, oder wo seine Täterschaft nicht nachweisbar war. Nur für folgende drei Beschuldigungen bekannte sich Peshewa Qazi Mohammed schuldig: 1) Der Besuch in Baku [Hauptstadt Aserbaidschans]. 2) Die Zustimmung zur Einwanderung Mullah Mustafa Barzanis in Mahabad. 3) Die Wertschätzung der kurdischen Flagge, aber nicht der iranischen Flagge.

Im Morgengrauen des 30. März 1947, wurden Peshewa Qazi Mohammed, Seyfi Qazi und Sedri Qazi auf dem Çiwar Çira (Vier-Lampen) Platz in Mahabad hingerichtet. Später wurden noch 16 weitere kurdische Persönlichkeiten, darunter acht Angehörige des Stammes der Feyzulla Beygi, in Saqqez hingerichtet.


Obwohl die kurdische Republik nicht lange überlebte, bleibt sie ein Meilenstein in der kurdischen Geschichte und hat maßgeblich dazu beigetragen, dass das Streben nach der Unabhängigkeit Kurdistans bis zum heutigen Tag lebendig geblieben ist. So heißt es in einem Ausschnitt aus dem Buch von Ali Homam Qazi, Sohn von Peshewa Qazi Mohammed:

„Der Zusammenbruch der Kurdischen Republik war natürlich ein schwerer Schlag für die kurdische Bewegung, aber er war nicht ihr Ende. Im Gegenteil: Die Erinnerung an die Existenz der Kurdischen Republik, ihre demokratische Struktur, ihre eigentümliche politische Kultur, ihre Atmosphäre von Solidarität und Brüderlichkeit stand den Kurden wie eine Verheißung für die Zukunft vor Augen. Die kurze Existenz eines kurdischen Staates hatte dem ganzen Volk gezeigt, dass die Verwirklichung seiner politischen Träume wenigstens möglich war. Die Republik blieb auch in der Erinnerung der Kurden makellos, die würdige Haltung ihrer Führer beim Untergang schufen regelrecht ein Idol, einen Mythos, dem die Kurden nun um so bewusster nachstrebten. (...)“